Dieser Abschnitt gibt einen Überblick darüber, wie Gesundheitsinformationen inhaltlich und medial so aufbereitet werden können, dass die Informationen für verschiedene Nutzer in unterschiedlichen Nutzungssituationen optimal zur Verfügung stehen. Prinzipien und Methoden einer multidisziplinären, nutzerorientierten und iterativen Entwicklung werden am Beispiel des GAP-Projektes veranschaulicht.
Informationsverarbeitung
Informationsverarbeitung kann durch unterschiedliche Faktoren positiv oder negativ beeinflußt werden. Dabei sollte besonders die kognitive Belastung bei der Aufnahme und Verarbeitung bestimmter Informationsarten betrachtet werden.
Eine gute Orientierung bietet z. B. die Theorie der kognitiven Belastung (Cognitive Load Theory) nach Sweller et al. (2011). Beschrieben wird in dieser Theorie das Wechselspiel zwischen dem Arbeitsgedächtnismodell von Baddley (1992) und einem Langzeitgedächtnis bei der Verarbeitung von Informationen.
Bildung mentaler Repräsentationen
Um aus aufgenommenen Informationen „eine angemessene mentale Repräsentation der dargestellten Repräsentation“ (Merkt & Schwan 2016) zu erhalten, müssen verschiedene kognitive Prozesse von den Lernenden durchlaufen werden. Wissenserwerb beinhaltet das Empfangen, Verarbeiten, Kodieren und Speichern von Wissensrepräsentationen im Arbeitsgedächtnis und das Abrufen dieser Repräsentationen aus dem Langzeitgedächtnis (Steiner 2006).
Arten der Informationsverarbeitung
Bei der Aufbereitung von Inhalten gibt es drei Arten der Informationsverarbeitung zu beachten (Mayer 2008):
EXTRANEOUS PROCESSING:
Verarbeitung
unwichtiger Inhalte
ESSENTIAL PROCESSING:
Aufnahme
grundlegender Informationen
GENERATIVE PROCESSING:
Verarbeitung
wichtiger Inhalte
Eine kognitive Überbelastung des Arbeitsgedächtnisses tritt meistens nur auf, wenn bei der Aufnahme zu viele wichtige Informationen gleichzeitig verarbeitet werden müssen, um einen Inhalt zu verstehen (Niegemann et al. 2008), also die zu verarbeitende Menge zu hoch ist. Zudem wird der Verarbeitungsprozess durch die zeitliche Begrenzung des Arbeitsgedächtnisses eingeschränkt.
Auf tala-med.info wurden bei der Aufbereitung der Informationen verschiedene Gestaltungsprinzipien nach Richard Mayer (2008) und Schnotz (2005) angewandt, welche im nächsten Abschnitt „Gestaltungsprinzipien“ ausführlicher erklärt werden.
Gestaltungsprinzipien
Um die kognitive Kapazität bei der Verarbeitung von Informationen nicht zu überlasten, können folgende Prinzipien nach Richard Mayer (2008) und Schnotz (2005) für deren Aufbereitung und Gestaltung angewendet werden:
Modalitäts-Prinzip oder Prinzip der geteilten Aufmerksamkeit (Split Attention Effect)
Wird eine Information audiovisuell präsentiert, können die Inhalte auf verschiedenen Wahrnehmungswegen verarbeitet werden. Dabei wird nicht nur der visuelle Kanal angesprochen, sondern bei Sprechertext zusätzlich auch der verbale Kanal, was die Verarbeitung begünstigt. Präsentiert man parallel zur audiovisuellen, grafischen Animation allerdings schriftlichen Text, springt die Aufmerksamkeit zwischen visuellem Text und Bild hin und her und es kann zu einer Überlastung des kognitiven Verarbeitungsprozesses kommen.
Beispiel aus tala-med.info:
Kohärenz-Prinzip
Bei der Aufbereitung der Inhalte sollten für den Lerninhalt unwichtige Texte, Bilder oder weitere Gestaltungselemente möglichst reduziert werden. Dadurch lässt sich die kognitive Belastung verringern, die ansonsten durch die Verarbeitung weniger relevanter Inhalte belegt wäre. Somit können Kapazitäten für die Verarbeitung wichtiger Inhalte frei gehalten werden.
Beispiel aus tala-med.info:
Signaltechnik-Prinzip
Grundlegende Informationen sollten in einem Text hervorgehoben werden. Dadurch sind die Inhalte beim Überfliegen schnell erfassbar und können von weniger wichtigen Inhalten unterschieden werden. Dies geschieht meistens durch gängige Hervorhebungen wie Unterstreichen, dickere Schrift, andere Schriftfarben oder -hintergründe oder eine Kombination verschiedener Hervorhebungsmöglichkeiten.
Beispiel aus tala-med.info:
Redundanz-Prinzip
Besonders bei der Präsentation von Animationen oder Videoinhalten sollte die kognitive Belastung durch weniger wichtige oder redundante Inhalte gering gehalten werden, da es sonst zur Überlastung des Verarbeitungsprozesses kommen kann (cognitive overload). Text und visuelle Inhalte des Videos werden über den gleichen Kanal aufgenommen (siehe auch Cognitive Load Theory nach Sweller und Modalitäts-Prinzip). Daher ist die gleichzeitige Präsentation von audiovisuellen Inhalten mit erklärendem schriftlichen Text zu vermeiden.
Prinzip der räumlichen Nähe (Kontiguitätsprinzip I)
Werden Textinhalte durch eine Grafik ergänzt, so ist darauf zu achten, dass die Beschreibungen in der Nähe der Grafik platziert werden. Durch die räumliche Nähe muss der Nutzer nicht zusätzlich den Schritt der inhaltlichen Zuordnung vollziehen. Besonders geeignet sind Grafiken oder Bilder daher, wenn sie den Textinhalten direkt zugeordnet sind.
Beispiel aus tala-med.info:
Prinzip der zeitlichen Nähe (Kontiguitätsprinzip II)
In Videos sollten Bild und Sprechertext gleichzeitig präsentiert werden. Somit kann die Information vom Rezipienten simultan über den visuellen und den verbalen Kanal aufgenommen und verarbeitet werden. Die aufgenommenen Inhalte werden somit miteinander und bestenfalls mit bereits vorhandenem Vorwissen verknüpft.
Segmentierungs-Prinzip
Die Aufteilung der Inhalte in kleinere Einheiten ermöglicht es dem Nutzer, die Informationen nach und nach zu erfassen. Bei der Segmentierung sollte eine inhaltlich sinnvolle Aufteilung und Präsentation der Inhalte gewählt werden. So können Segmente nacheinander oder in Form von Netzwerken präsentiert werden, je nach Zielgruppe und Ziel der Information.
Beispiel aus tala-med.info:
Vorübungs-Prinzip
Bei komplexen und nur schwer segmentierbaren Inhalten oder zahlreichen Vernetzungen kann es dem Nutzer helfen, wichtige Begriffe und Schlüsselwörter bereits vorab einzuführen. Dadurch entfällt ihre zusätzliche Erklärung im Text, die ablenkend wirken kann. Die relevanten Inhalte können dadurch besser aufgenommen werden.
Beispiel aus tala-med.info:
Personalisierungs-Prinzip
Eine persönliche und direkte Ansprache an den Nutzer kann das Engagement im Vergleich zu einer formellen Ansprache erhöhen (Mayer 2008). Laut Mayer schafft dies eine soziale Nähe zum Inhalt, sodass der Nutzer sich eher bemüht, den Inhalt zu verstehen.
Beispiel aus tala-med.info:
Bild-Text-Reihenfolge-Prinzip
Bei der Präsentation von komplexen zusammengehörigen Bildern und Texten, die nicht integriert dargestellt werden können, sollte zunächst das Bild und dann der Text präsentiert werden. Texte sind meistens unspezifischer und lassen sich daher keinem direkten mentalen Modell zuordnen. Bilder zuerst zu präsentieren kann Interferenzen vermeiden, die sonst evtl. aufkommen würden.
Die aufgeführten Prinzipien stellen nur eine Empfehlung dar.
Externe Empfehlungen
Verschiedene Institutionen geben Empfehlungen zur Aufbereitung und Darstellung von Gesundheitsinformationen. Zwei ausgewählte Beispiele werden hier kurz beleuchtet.
Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ)
Als allgemeine Empfehlungen für die visuelle Gestaltung evidenzbasierter Patienteninformationen werden im Manual Patienteninformation des ÄZQ folgende Punkte genannt.
- Einfache und übersichtliche Navigation.
- Navigation sollte von allen Seiten aus nutzbar und erreichbar sein.
- Mindestens Schriftgröße 12 bis 14, bei älterer Zielgruppe auch etwas größer.
- Verwendung von serifenfreien Schriften ähnlich Arial oder Helvetica.
- Auf gute Kontraste achten bei Schrift. Dunkle Schrift auf hellem Hintergrund wird empfohlen. Helle Schrift auf dunklem Hintergrund nur für Hervorhebungen oder Überschriften nutzen, nicht für Fließtexte.
- Keine Hintergrundbilder hinter Texten verwenden.
- Nur linksbündig schreiben.
- Zwischen Absätzen genügend Platz lassen, damit sie gut erkennbar sind.
- Überschriften klar hervorheben.
- Möglicherweise Zusammenarbeit mit einem Grafiker für Erstellung von Infografiken oder Cartoons.
Mehr Info: Manual Patienteninformation (ÄZQ 2006)
Leitlinie evidenzbasierte Gesundheitsinformation (EbM, Universität Hamburg)
Die vom Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin e. V. (EbM) und der Universität Hamburg herausgegebene Leitlinie für evidenzbasierte Gesundheitsinformation beinhaltet u. a. die folgenden Empfehlungen.
Grafiken
- Grafische Darstellungen können eine sinnvolle Ergänzung zu einer numerischen Darstellung sein, wenn diese leicht verständlich sind und damit realistisch interpretiert werden können.
- Eine ausführlichere Grafik sollte ausreichend mit allen benötigten Infos versehen werden, damit sie leichter verständlich ist.
- Verwendung von Piktogrammen, in unterschiedlichen Varianten (einfach, kombiniert, animiert oder interaktiv)
- Verwendung von Balken- oder Tortendiagrammen
Bilder & Zeichnungen
- Piktogramme, Cartoons oder anatomische Bilder können als Illustration genutzt werden und einen Text ergänzen.
- Bilder hingegen wecken eher Emotionen und erhöhen damit die Attraktivität und Glaubwürdigkeit einer Information, erweitern aber nicht das Wissen.
- Bilder oder Grafiken, die einen Text ergänzen, können insbesondere bei Instruktionen dazu beitragen, diese zu illustrieren und damit das Verständnis zu erhöhen.
Mehr Info: Leitlinie evidenzbasierte Gesundheitsinformation (Lühnen et al. 2017).
Erstmals veröffentlicht: 20.05.2021
Aktualisiert vom Editoren-Team: 22.06.2021
Literatur
Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin, ÄZQ (2006): Manual Patienteninformation – Empfehlungen zur Erstellung evidenzbasierter Patienteninformationen. Berlin: ÄZQ. (äzq Schriftenreihe; 25).
Baddeley A (1992): Working memory. Science, 255 (5044): 556–559.
Kürschner C & Schnotz W (2007): Konstruktion mentaler Repräsentationen bei der Verarbeitung von Text und Bildern. Unterrichtswissenschaft, 35 (1): 48-67.
Lühnen J, Albrecht M, Mühlhauser I & Steckelberg A (2017): Leitlinie evidenzbasierte Gesundheitsinformation. Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e. V. (Hg.), Hamburg.
Mayer RE (2008): Applying the Science of Learning: Evidence-based Principles for the Design of Multimedia Instruction. American Psychologist, 63 (8): 760-769.
Merkt M & Schwan S (2016): Lernen mit digitalen Videos. Der Einfluss einfacher interaktiver Kontrollmöglichkeiten. Psychologische Rundschau, 67: 96.
Niegemann H, Heidig S, Hessel S, Hein A, Hupfer M & Zobel A (2008): Kompendium Multimediales Lernen. Springer, Berlin, Heidelberg.
Schnotz W (2005): An integrated model of text and picture comprehension. In Mayer RE (Hrsg.), The Cambridge Handbook of Multimedia Learning (S. 49-69). Cambridge, MA: Cambridge University Press.
Steiner G (2006): Lernen und Wissenserwerb. In Krapp A & Weidenmann B (Hg.): Pädagogische Psychologie, 5. Aufl., S. 137-202. Beltz: Weinheim.
Sweller J, Ayres P & Kalyuga S (2011): Cognitive Load Theory. Springer New York.